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Familienbande (Neudenk)

Laut Grundgesetz (Artikel 9) haben alle Deutschen das Recht, Gemeinschaften zu bilden, einer Gemeinschaft beizutreten oder aus einer Gemeinschaft auszutreten. Was eine solche Gemeinschaft ausmacht, der man beizutreten beabsichtigt, welche Ziele sie verfolgt, nach welchen Regeln sie intern verfährt kann man üblicherweise irgendwo nachlesen, meist in einem Statut, oder allgemeiner in einer Kodifikation. Bei einem Verein oder bei einer Genossenschaft nennt man dieses Dokument 'Satzung', bei einem Unternehmen kann es 'Gesellschaftervertrag' oder auch anders heißen. Aber es gibt eine solche, nachlesbare, zustimmungs- oder ablehnungsfähige, verbindliche Vereinbarung.

Was aber ist mit einer Familie? Die ist doch auch eine Gemeinschaft, oder? Was ist bei ihr anders und warum? Muss das auch so bleiben?

Diese Fragen sollte man einmal genauer betrachten.

Auf den ersten Blick scheint es zwei Sorten von Familien zu geben: Erstens die, in die man hinein geboren wird und aus der man nie wieder herauskommt. Zweitens die, die man selbst gründet.

Das ist aber wirklich nur auf den ersten Blick so, denn das Wort „gründen“ führt bei dem Vorgang, den man gemeinhin 'Familiengründung' nennt, in die Irre. In Wirklichkeit wird nämlich gar keine neue Familie gegründet. Vielmehr treffen zwei bestehende Familien 'der ersten Art' aufeinander. Je nach den Umständen und abhängig von regionalen Traditionen führt eine solche Begegnung entweder zu einer geräuschlosen Durchdringung ohne nennenswerte Wechselwirkungen, oder zu einer harmonischen Verschmelzung mit Synergieeffekten, oder aber zu einer dramatischen Kollision mit vielen Konfliktherden. Was im Einzelfall passiert ist so unabsehbar wie beim Zusammentreffen zweier Galaxien im All. Es ist individuelles Schicksal.

Auf was ich hier hinweisen will, ist das meist fehlende nachlesbare, zustimmungs- oder ablehnungsfähige Regularium, die nicht vorhandene Satzung, der nicht existierende Gesellschaftervertrag, oder kurz: Es gibt – wenn man einmal von alten Adelsgeschlechtern und von manchen Familien der Super-Reichen absieht – keine Kodifikation. Vor diesem Hintergrund braucht es nicht zu verwundern, dass es in diesen, häufigsten aller menschlichen Gemeinschaften oft drunter und drüber geht, jeder dafür die Schuld bei 'den Anderen' sieht und die Ergebnisse solch ungeregelter Vorgänge immer wieder im wirtschaftlichen Desaster und finanziellen Chaos enden.

Es wird also Zeit, meine ich, dass wir die Familie anderen Gemeinschaften gleichstellen und auch von ihnen verlangen, dass sie sich verbindliche Regeln geben, denen man zustimmen oder die man auch ablehnen kann.